Frei handeln

Etwa eine viertel Millionen Menschen gingen im September 2016 in Deutschland auf die Straße, um gegen Freihandelsabkommen zu demonstrieren. Mehrere überregionale Zeitungen berichteten hierzu mit Schlagzeilen wie „Zehntausendfacher Protest gegen TTIP und CETA” und befassten sich dann zu einem großen Teil mit der Frage, wer nun wie viele Teilnehmer geschätzt hatte. Doch ich möchte mich nicht durch die genauen Zahlen von der eigentlichen Frage ablenken lassen. Mir ist es wichtiger zu klären, wie ich zu Freihandelsabkommen stehe und inwiefern ich die Entscheidung der SPD, diese prinzipiell zu unterstützen, um das Vertrauen der Wirtschaft in die Politik nicht zu gefährden, nachvollziehen kann. Freihandelsabkommen sind ein komplexes Thema und ich bin da kein Experte. Die SPD fußt auf den Grundwerten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Auch mir sind diese wichtig, doch werden diese Werte durch die geplanten Freihandelsabkommen für mich gestärkt?

PRO-ARGUMENT MIT EINER VARIABLEN UND EINEM GEWINNER. Es gibt viele Argumente für Freihandelsabkommen. Als Beispiel sei hier ein Pro-Argument von Friedrich Merz (CDU) angeführt: „[…] Die Frage ist nur, wer setzt die Regeln in Zukunft. Setzen wir Europäer mit den Amerikanern zusammen die Regeln, oder werden die Regeln etwa in Asien neu geschrieben. Die Amerikaner werden in jedem Falle dabei sein. Die Europäer sind in der Gefahr, in eine Zuschauerrolle hineinzurutschen, wenn sie sich diesem Prozess entziehen.“ (4.5.2016, DLF). Nach meinem Verständnis geht Merz davon aus, dass es nur einen Gewinner geben kann. Also ignoriert er die Möglichkeit einer pluralen, brüderlichen und sozialen Gesellschaft, in der es eine Vielzahl von Gewinnern geben könnte. Diese Argumente vom Aufsichtsratschef der deutschen Blackrock zu hören, verwundert nicht, aber dass dieser Standpunkt auch bei der SPD vertreten wird, erstaunt durchaus.

DAS GELD LENKT VOM WESENTLICHEN AB. Mir scheint, dass große Unternehmen sehr viel Interesse an Freihandelsabkommen haben. Die SPD kann natürlich argumentieren, dass der Arbeitnehmer auch einen Arbeitgeber braucht. Diese Entwicklung wird jedoch zulasten des Freiraumes des Bürgers gehen, den ich durch Freihandelsabkommen nicht gestärkt sehe. Während der Freiraum und die Vielfalt sich nur sehr schwer messen lassen, fällt es der Wirtschaft ungemein leicht, die Effekte monetär zu beziffern. Wenn Studien belegen, dass die Kaufkraft des Einzelnen im Schnitt zunimmt, kann dies unterschiedlich interpretiert werden. – Ich sehe mal davon ab, dass diese Extrapolation vermutlich falsch ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Großunternehmen zusätzliche Gewinne an die Kunden einfach weitergeben. Trotz der Einführung der Atomkraft waren schließlich auch weiterhin Stromzähler notwendig. – Doch vielleicht stimmt die Extrapolation, dann fallen mir zwei Interpretationen ein:

  • Der Einzelne hat mehr Geld im Portemonnaie und kann tatsächlich seine Wünsche besser verwirklichen und hierdurch ein erfüllteres Leben haben.
  • Im Endeffekt ändert sich nichts. Es werden nur die bisher nicht einkalkulierten Dinge wirtschaftlich sichtbar (z. B.: Eltern arbeiten und bezahlen für die Kinderbetreuung, statt die Kinder selbst zu betreuen; Kommunikation mit Freunden erfolgen per sozialer Medien und weniger direkt von Angesicht zu Angesicht; man schließt private Zusatzversicherungen ab, statt der Gesellschaft zu vertrauen).

Ersteres geht davon aus, dass derjenige, der mehr hat, bereit ist abzugeben, was ich wie gesagt bezweifele. Ob Letzteres zutrifft, lässt sich nicht beziffern. Falls es eine Rolle spielt, besteht die Gefahr, das andere zu verlieren, wie es Byung-Chul Han in unserer Zeit kritisch beobachtet. In diesem Falle wird allein das Geld als singulärer Vergleichsmaßstab verwendet.

ES KÖNNEN NICHT ALLE GEWINNEN. Der hieraus resultierende Kampf jeder gegen jeden ist gefährlich. Um nach Auswegen zu suchen, möchte ich in Anlehnung an einen Spruch der Anti-Kriegsbewegung „Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin“ formulieren: Stell dir vor, es gibt mehr Geld, und keiner will es. In unserer heutigen Wirtschaftsform ist es nicht so ohne Weiteres vorstellbar, den Wunsch nach noch mehr Geld nicht zu hegen, geschweige denn ganz darauf zu verzichten. Wären dann Freihandelsabkommen überhaupt noch sinnvoll? Und wo taucht das Geld in den Grundwerten auf? Ist es nur so dominant, weil wir die Haftung zum Grund verloren haben und sonst kein Maß für die Entscheidungsfindung vorliegt? Gerade in Zeiten, wo die Unsicherheit für manche wächst, ist es wichtig, mit einem klaren Bekenntnis zu den Grundwerten wieder Sicherheit zu schaffen. Hiermit kann nachhaltig den Menschen die Angst wieder genommen werden.

Frei handeln erhöht meine Zufriedenheit

An sich können durchaus die Inhalte und die Form eines Freihandelsabkommens sinnvoll und korrekt sein, doch werden hierdurch auch die bereits mächtigen Unternehmen weiterhin gestärkt. Für mich als einfacher Bürger ergibt sich nicht zwingend ein Mehrwert, besonders im Sinne der Grundwerte ist er für mich nicht erkennbar. Ein Beispiel hierzu aus eigener Erfahrung: Seit einiger Zeit habe ich mein Kundenkonto bei einem großen Internethändler gelöscht und bereue es nicht. Am Anfang dachte ich, es wäre purer Idealismus, mir würde etwas fehlen und ich müsste nun höhere Preise zahlen. Doch heute bin ich überzeugt, dass ich am Ende vom Jahr Geld spare und Freiheit in meinem Handeln dazugewinne. Ich kaufe nun meistens vor Ort die Produkte, mit denen ich zufrieden bin, statt stundenlang Kundenmeinungen zu lesen, subtile Vorschläge zu bekommen, um dann am Ende aus einer gewissen Unsicherheit doch das Produkt mit unnötigen zusätzlichen Features zu kaufen. Darüber hinaus habe ich durch das Vertrauen in einen erfahrenen Fachhändler den Kauf in der Regel innerhalb eines kurzen, angenehmen Dialogs abgeschlossen.

STANDARDISIERUNG STEHT NICHT IM FOKUS VON GROẞKONZERNEN. Natürlich freut es mich auch, wenn ich frei zwischen Produkten von verschiedenen Herstellern wählen kann und sie dennoch zueinanderpassen. Leider haben Großkonzerne bisher keine großen Anreize, diesem Kundenwunsch durch Standardisierung nachzukommen. So hat selbst die Telekommunikationsbranche, die ja auf Normen für den Datenaustausch angewiesen ist, es lange nicht geschafft, sich auf einen einheitlichen Stecker für Ladegeräte festzulegen. Es war erst durch politischen Druck auf europäischer Ebene möglich, die Industrie zu einem Standard zu bewegen. Fehlt ein Hören der Großkonzerne auf den Bürger? Was wäre passiert, hätten eine viertel Million im September 2016 statt auf der Straße durch eine Kündigung der Kundschaft bei Großkonzernen ihre Meinung geäußert? Bei der Durchsetzung von Standards danke ich Politikern für ihre harte Arbeit und klare Linie. Ich bitte aber darum, keine unübersehbaren Vertragswerke unter Mitwirkung der Großkonzerne im Geheimen auszugestalten, die für den Einzelnen in ihrer Zielrichtung nicht mehr nach zu vollziehen sind. Ich sehe durch die großen Gesamtpakete einen Verlust an Vielfalt und sie scheinen mir die Monopolisierung, Marktdominanz und die Winner-takes-it-all-Mentalität der Großkonzerne zu stärken.

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