Vermögen sind sehr unterschiedlich auf einzelne Menschen verteilt. Im Vergleich zu einer zufälligen Verteilung wird dies deutlich. Eine solche entsteht beispielsweise, wenn ein Faden zufällig in viele Stücke geschnitten wird, wobei die Schere jedes Mal an einer zufälligen Stelle angesetzt wird. Wenn das Vermögen aller Menschen in Deutschland in dieser Form verteilt wäre, hätte die vermögendste Person zehntausendmal weniger, als heute, während das mittlere Vermögen unverändert bliebe.
Meterhohe Wellen brechen sich an Felsen und am Ufer kommen nur zentimeterhohe Wellen an. Dies fotografierte ich während eines Forschungsaufenthaltes in Kalifornien. Mich hat dieses Bild während meiner Doktorarbeit, in der ich mich mit der Innenohrmechanik befasste, begleitet. Es sind die kaum hörbaren kleinen seichten Wellen im Vordergrund zu sehen und dahinter das laut tobende Meer. Es ist ein großer Unterschied: Zentimeter oder Meter. Doch unser Ohr ist in der Lage noch einen deutlich größeren Dynamikbereich zu erfassen. Er beträgt in Bezug auf die Luftschwingung etwa Eins zu einer Million, von der Hörschwelle bis zur Schmerzschwelle.
Das Geld ist eine selbstgeschaffene und entscheidende Größe in unserer Gesellschaft. Die kleinste Einheit, die ich verwende ist der Cent mit 0,01 Euro. Die größte Geldmenge, die einer Einzelperson in Deutschland zugeordnet ist, liegt bei über 10 Milliarden Euro. Wir besitzen kein direktes Wahrnehmungsorgan für das Geld. Unsere Vorstellung ist über unsere Sinnesorgane trainiert und wird mit diesem Dynamikbereich von Eins zu einer Billion sehr stark gefordert. Um die Relationen zu verstehen, hilft es die relative Größe Geld ins Verhältnis zu Bekanntem und leichter Erfassbarem zu setzen.
Es gibt verschiedenste Möglichkeiten Relationen zu erfassen. Für das Geld gibt es in Bezug auf eine Einzelperson als integrale, umfassende und beschreibende Größe das monetäre Vermögen. Dies stellt den Teil des über die Jahre angesparten Arbeitslohnes, Kapitaleinkommens sowie monetär bewertbares dar, unabhängig davon ob es sich um Lohn, Erbe oder Aktien handelt. Aus meiner Sicht bestimmt das daraus akkumulierte Vermögen maßgeblich die Größe des Entscheidungsraums einer Einzelperson in unserer Gesellschaft und stellt somit das eigentliche Potential dar; während das Einkommen mit seiner Einheit Geld pro Zeit, eine Flussgröße ist und meist in Bezug auf einen Monat oder ein Jahr betrachtet wird. Das Geld hat aber diese begrenzte Haltbarkeit nicht.
Wie im Bericht der Bundesregierung zur Lebensqualität in Deutschland erläutert wird, beschreibt der Gini-Koeffizient der Vermögen die Vermögensverteilung auf einer Skala von null bis eins. Bei einem Wert von null hätten alle gleich viel Vermögen. Bei einem Wert von eins würde einer alles Vermögen auf sich vereinen. Der dort angegebene Wert aus dem Jahr 2010 von 0,78 ist irgendwo dazwischen. Eine Einbettung in die Werte anderer Staaten wird im Bericht relativiert, da es dort andere Strategien der Vermögensanlage gibt. Für einen Gesamtüberblick sind für Staaten skalare Größen wie der Gini-Koeffizient hilfreich, doch stehen sie weder in direktem Bezug zu Einzelpersonen, noch erlauben sie eine intuitive Betrachtung. Für mich ist daher eine Betrachtung anhand von Einzelpersonen wesentlich, da diese am Ende entscheiden.
Der Goldmeter als sichtbares Maß von Vermögen
Um die Relationen besser fassen zu können ist es hilfreich, die abstrakte Größe des monetären Wertes in ein fassbares Maß zu übersetzten. Eine Form zur Sichtbarmachung ist die Umrechnung des monetären Wertes auf eine Kette von aneinander gereihten Goldbarren, denn eine Längenskala ist leichter begreifbar als das abstrakte Geld. Ein einzelner Goldbarren ist etwa ein Viertel Meter lang und wiegt um die 11,3 kg. Somit wiegt ein solcher Meter Gold etwa 45 kg. Der Goldpreis ermöglicht es, das Gewicht in Geld auszudrücken (in diesem Beitrag verwende ich vorzugsweise Zahlen aus dem Jahre 2013, um konsistent mit verfügbaren statistischen Zahlen zu sein). Anhand des Goldpreises ergibt sich ein Preis von etwa 1,4 Mio. EUR pro Meter. In nachfolgender Tabelle sind verschiedene Geldbeträge in dieses Maß des Goldmeters umgerechnet.
Geldwerte im Vergleich zur Länge in Goldmeter und typischen Größen in der Natur. Monetäre Werte beziehen sich auf Daten aus Deutschland im Jahr 2013.Größe | Wert in Euro | Goldmeter | Größen in der Natur |
---|---|---|---|
Eine Atomlage | 0,0028 | 0,2 nm | Atom |
Ein Cent | 0,01 | 7,2 nm | Protein |
Ein Euro | 1,00 | 0,72 μm | Bakterium |
Schonvermögen nach Hartz IV | 10.050,00 | 7,2 mm | Haselnusskern |
Ein kg | 30.646,09 | 22 mm | Kirsche |
Haushaltsbruttoeinkommen | 49.032,00 | 35 mm | Erdbeere |
Vermögen pro Kopf | 61.099,41 | 44 mm | Aprikose |
Zufällig Reichster | 1.147.572,06 | 0,83 m | Schulterhöhe Wolf |
Ein Meter | 1.390.083,35 | 1 m | Schulterhöhe Schaf |
Zehnfach-Milliardär | 10.000.000.000,00 | 7,2 km | Höhe des Himalaya |
Gesamtvermögen der Deutschen | 4.923.738.900.000,00 | 3.500 km | Kontinentalplatte |
Mit diesem Maß lassen sich nun verschiedene Größen erfassen. Das mittlere Vermögen einer Einzelperson im Jahr 2013 beträgt laut Bundesamt für Statistik 61.000 EUR, dies entspricht ca. 4,4 cm der Goldlänge. Das Vermögen der gesamten deutschen Bevölkerung ergibt sich aus der Multiplikation mit der Einwohnerzahl von etwa 80,6 Mio, was eine Strecke in Goldlänge von etwa 3.500 km – die Luftstrecke von Berlin nach Teneriffa – ergibt.
Die Vermögen sind weder gleich- noch zufälligverteilt
Die real existierende Verteilung ist eine von vielen verschiedenen Möglichkeiten, das Vermögen auf Einzelpersonen zu verteilen. Eine Variante ist die Aufteilung in gleich große Stücke. Zur Veranschaulichung ist in folgender Abbildung exemplarisch eine lange Linie, die sich über hundert Zeilen erstreckt, in insgesamt zehntausend gleich große Stücke aufgeteilt. Für diesen Fall der gleich großen Stücke wäre der Gini-Koeffizient null. Jedoch besteht für die Umsetzung ein erheblicher Aufwand: Um auch den Cent exakt zu verteilen, muss jedes Stück auf exakt 4,3953776 cm geschnitten werden. Es muss auf wenige Atomlagen genau geschnitten werden. Kein Stück wäre größer oder kleiner und sobald eine Person etwas abgibt, wird von diesem Ideal abgewichen.
Eine Alternative ist, an zufälligen Orten zu schneiden und keinen Ort besonders zu bevorzugen. Im Mittel wären wiederum alle Stücke etwa 4,4 cm lang, jedoch hätten nun alle unterschiedliche Längen. Interessanterweise ist zu erwarten, dass kein einziges Stück von den 80,6 Millionen länger als etwa 80 cm wäre, was dem 18,2-fachen des Mittelwertes entspricht. Dieser Faktor, der das Verhältnis von Extremwert zu Mittelwert beschreibt, hängt allein von der Stückzahl ab, hier der Bevölkerungszahl, und ist als Funktion dieser in untenstehender Grafik dargestellt. Das längste Stück würde um die 34 kg wiegen und wäre nicht nur fassbar, sondern auch von einer Einzelperson durchaus zu tragen.
Zur Veranschaulichung ist wieder eine Linie in zehntausend Stücke aufgeteilt, nun ist jedoch an zufällig gewählten Orten geteilt worden. Wie in der folgenden Abbildung zu sehen, sind die Stücke unterschiedlich lang. Es gibt jedoch eine typische Länge, die der von der vorherigen Abbildung entspricht.
Große Unterschiede existieren besonders unter Reichen
In der Realität existieren deutlich größere Einzelvermögen als der Extremwert bei einer zufälligen Verteilung vermuten lassen würde. Auch wenn die Großvermögen nicht ohne weiteres in bares Geld umgerechnet, geschweige denn von heute auf morgen ausgezahlt werden können, stehen die Abschätzungen doch in Bezug zu unserem Geldsystem. Beim Blick auf die Forbesliste der reichsten Weltenbürger der letzten Jahre waren immer einige Deutsche mit mehr als 10 Mrd. Euro auf dieser Liste zu finden. Ein solcher zehnfach-Milliardär bestimmt über ein beträchtliches Vermögen. Zehn Milliarden Euro entsprechen einer Strecke von über 7 km Gold, was ein Gewicht von etwa 326 Tonnen hat. Dies lässt sich weder mit den eigenen Händen umfassen noch durch eigene Kraft tragen und macht klar, dass es sich hier nicht um eine zufällige Verteilung handelt.
Für die Beschreibung der realen Vermögensverteilung in Deutschland stellte die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe Informationen bereit, wobei die Gruppe für Vermögen über einer halben Millionen Euro nicht weiter differenziert ist. Basierend auf einer Ergänzung um die Daten der Forbes-Liste und einer Analyse der Zeitschrift Bilanz aus dem Jahr 2016, mit den 750 vermögendsten Deutschen, lässt sich die Vermögensverteilung in Deutschland abschätzen. Für diese Daten ist eine zufällige Stichprobe der Deutschen in nachfolgender Abbildung dargestellt. Auch hier ist die Gesamtlänge wieder in zehntausend Stücke aufgeteilt.
Ein Zehnfach-Milliardär ist bei dieser Stichprobe nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,01 % zu finden, im konkreten Fall nicht dabei und würde alleine fast 17 solche Abbildungen füllen. In der folgenden Abbildungen ist der entsprechende Wert dargestellt.
Für die Erklärung der realen Verteilungsform gibt es verschiedene Ansätze. Ein für mich plausibles Modell (Yakovenkov & Rosser; Colloquium: Statistical mechanics of money, wealth, and income; 2009, arxiv.org), welches den charakteristischen Verlauf der Vermögens- wie auch der Einkommensverteilung in verschiedenen Ländern erfasst, geht davon aus, dass die kleinen Vermögen sich über der Zeit eher durch zufällige Ereignisse ändern, während die großen Vermögen relativ zum eigenen Vermögen über die Zeit wachsen und schrumpfen. Dadurch ergibt sich für die kleineren Vermögen eine zufällige Verteilung. Bei den größeren Vermögen ist dies jedoch nicht der Fall. Diese Folgen einer Pareto-Verteilung, bei der eine kleine Anzahl von hohen Vermögen mehr zum Gesamtvermögen aller Beteiligten beiträgt als die hohe Anzahl der kleinen Vermögen. Darüberhinaus sind die relativen Unterschiede bei den großen Einzelvermögen auch größer. Bei der Analyse der Liste aller Vermögenden sortiert in der nach dem Betrag absteigenden Reihenfolge wird dies deutlich. Auf dieser Liste hat der Ärmste unter den tausend Reichsten, der an Position 1.000 steht, weniger als ein Prozent des Reichsten. Wohingegen derjenige, der tausend Listenplätze unter dem Mittelplatz sich befindet, immerhin noch 99,99 % im Bezug zum Mittelplatz hat.
Den Zusammenhang zwischen der Einkommensverteilung und der Vermögensverteilung lässt sich mit drei Formen des Vermögenszuwachses erklären: Einkommen durch Arbeit, Einkommen durch Kapital und Wertänderung des eigenen Vermögens (Berman, Ben-Jacob und Shapira; The Dynamics of Wealth Inequality and the Effect of Income Distribution; PlosOne, 2016, 0154196). Um die realen Daten abzubilden ist es entscheidend, dass höhere Vermögen prozentual einen höheren Gewinn erwirtschaften.
Abschließend eine relative Betrachtung zur Verdeutlichung der Unterschiede von verschiedenen Vermögen: Jedes Jahr wird der mit 50.000 Euro dotierte Herbert Quandt Medien-Preis verliehen. Dies ist eine stattliche Summe und entspricht etwa einem durchschnittlichen Haushaltsbruttoeinkommen. Das Vermögen der beiden Geschwister Quandt beträgt etwa 30 Mrd. Euro. Setzte ich das Preisgeld in Relation zum pro Kopf Durchschnittsvermögen von etwa 61.000 Euro relativiert sich diese scheinbare Großzügigkeit zu einem fiktiven Preisgeld von etwa 10 Cent. Für diesen kleinen Betrag bitte ich nicht mal das Finanzamt bei einer Spende um Steuerermäßigung, geschweige denn lobe ich dafür einen Preis aus.
Vermögen als Maß für Handlungspotential
Auch wenn sich mit unserem Zahlensystem ohne weiteres mehrere Milliarden nüchtern aufschreiben lassen, sind die Größenordnungen der verschiedenen Einzelvermögen durch unsere Sinne nicht erfassbar. Es sind erst einmal abstrakte Zahlen, denn die im gesellschaftlichen Kontext sich daraus ergebenden unterschiedlichen Möglichkeiten der Einzelpersonen stehen zwar im Bezug zu diesen geschätzten Geldwerten, sie erfordern jedoch auch Qualitäten die nicht direkt greifbar sind, wie Sicherheit, Akzeptanz und Kontinuität. Für eine Bewertung der absoluten Größe ist das Produkt aus dem quantitativen Einzelvermögen und diesen qualitativen Eigenschaften entscheidend. Da letzteres gleichförmiger verteilt ist, schon allein, weil es auf der Interaktion von Menschen beruht, ist die Verteilung der Vermögen ein Indikator für die Verteilung der Handlungspoteniale der Einzelpersonen in unserer Gesellschaft. Mit der Messung in Form des Goldmeters sind diese für mich ein Stück (un)fassbarer geworden.
Bei Herrn Dipl.-Jur. Johannes Christian Heemann, Rechtsanwalt, Dresden, bedanke ich mich für das Lektorat.
Klemens Hoffmann
Danke für den Artikel, der mir nun besser verständlich macht, wie groß die Ungleichheit eigentlich ist! Zwar immer noch unvorstellbar groß, aber besser beschreibbar. Nun stelle ich mir die Frage, inwiefern man das gesellschaftliche Handlungspotential tatsächlich aus dem Vermögen ableiten kann. Vom Bauchgefühl her würde ich der These aus dem letzten Absatz zustimmen, aber wie funktioniert es konkret?
Johannes Baumgart
Dies ist eine spannende Frage. Das gesellschaftliche Handlungspotential beruht aus meiner Sicht zu einem Teil auf Vertrauen. Dies lässt sich nicht so genau messen wie beispielsweise Geld und auch nicht direkt aus einer Vermögenssumme ableiten. Eine klare Antwort habe ich nicht, doch möchte ich an dieser Stelle auf den Folgebeitrag Miteinander unser Vermögen gebrauchen verweisen.